Weimarer Verfassung vs. Grundgesetz

Nach dem Scheitern der Weimarer Republik 1933 wollte man bei der Ausarbeitung des Grundgesetzes 1945 aus der Weimarer Verfassung lernen.

Eine der grundlegendsten Veränderungen waren neben der Entmachtung des Reichspräsidenten, die neu eingeführte Sperrklausel, die Stärkung der Gerichte und Verfassung, sowie die gesunkene politische Teilhabe der Bevölkerung.

Weimarer Verfassung

Grundgesetz (aktuelle Verfassung)

Vergleich: "Bonn ist nicht Weimar"

Parteienzusammensetzung

In der Weimarer Republik galt das Verhältniswahlrecht ohne Sperrklausel. Das heißt es gelangten auch viele Splitterparteien in den Reichstag...

• ... dies erschwerte eine Mehrheitsfindung (man konnte sich nicht einigen)
• ... zusätzlich kamen so viele republikfeindliche Parteien in den Reichstag (wie bsp. die KPD oder NSDAP)

Das Grundgesetz wurde dagegen mit einer "5%-Hürde" versehen. Das heißt es kamen nur Parteien in den Bundestag, die mehr als 5% der Stimmen hatten...

• ... dies erleichterte eine Regierungsbildung und stabilisierte die Regierungsgeschäfte

Partizipation der Bevölkerung

In der Weimarer Republik hatte die Bevölkerung noch weit mehr politische Teilhabe als heute...

• ... sie konnte über Volksbegehren und Volksbescheid (bsp. Dawes-Plan) an der Gesetzgebung teilhaben
• ... und durfte neben Reichstags- und Landtagswahlen direkt den Reichspräsidenten wählen

Nach 1945 wurde die Partizipation der Bevölkerung stark verringert. Das lag zum Teil auch daran, dass viele Menschen über 12 Jahre hinweg in einem demokratiefeindlichen System aufgewachsen waren...

• ... deswegen darf das Volk heutzutage nur noch den Bundes- und Landtag wählen

Stellung des Reichs-/ Bundespräsidenten

Der Reichspräsident hatte in der Weimarer Republik so viel Macht, dass man ihn auch "Ersatzkaiser" nannte. Er...

• ... wurde über 7 Jahre direkt vom Volk gewählt
• ... und hatte über Art. 53, 25 und 48 weitreichende Befugnisse
• ... zudem hatte er den Oberbefehl über die Reichswehr und konnte Richter ernennen / erlassen

Im Gegensatz zum Reichspräsidenten hatte der Bundespräsident in der Bundesrepublik weit weniger Macht. Er...

• ... hatte eigentlich nur noch repräsentative und zeremonielle Funktionen (darf bsp. ein Gesetz unterschreiben, bevor es verabschiedet wurde)
• ... und weniger Mitbestimmungsmöglichkeiten

Stellung der Regierung

Im Gegensatz zum Reichspräsidenten hatte die Reichsregierung relativ wenig Macht und war relativ instabil. So kam es dazu, dass es während der Weimarer Republik 24 Kabinette unter 13 verschiedenen Reichskanzlern gab...

• ... das lag vor allem am destruktiven Misstrauensvotum, wodurch der Reichstag der Reichsregierung oft das Vertrauen entzog und sie dadurch oft auflöste
• ... dabei war die kürzeste Reichsregierung gerade mal 2 Monate im Amt und die längste 2 Jahre.

Bei der Bundesrepublik sieht die Stellung der Bundesregierung ein wenig anders aus. Sie...

• ... ist zwar immer noch vom Bundestag (Parlament) abhängig
• ... kann jedoch nur nur über ein konstruktives Misstrauensvotum aufgelöst werden (das heißt, in derselben Abstimmung, in der die Regierung abgesetzt wird, muss die neue schon feststehen)
• ... im Gegensatz zur Weimarer Republik gab es zwar auch 24 verschiedene Kabinette, das jedoch seit Beginn an und unter 8 verschiedenen Bundeskanzlern (Stand: Mai 2021)

Stellung der Gerichte

Die Reichsgerichte waren in der Weimarer Republik...

• ... vom Reichspräsidenten abhängig und damit nicht unabhängig. Er durfte jeder Zeit Richter ernennen oder entlassen
• ... und es gab kein Gericht, dass speziell die Einhaltung der Verfassung kontrollierte

Dagegen wurde das oberste Gericht der Bundesrepublik, das "Bundesverfassungsgericht" stark aufgewertet. Es...

• ... wacht über die Einhaltung der Verfassung ("Hüter der Verfassung") und kontrolliert Anträge für neue Gesetzte
• ... und ist unabhängig

Stellung der Grundrechte

Neben den Reichsgerichten hatte der Reichspräsident auch Einfluss auf die Grundrechte. Sie ...

• ... konnten vom Reichspräsidenten durch Art. 48 (Notverordnungen) eingeschränkt werden
• ... zusätzlich waren sie keine von den Bürgern einklagbare Rechte

Im Grundgesetz dagegen haben die Grundrechte eine große Aufwertung erfahren...

• ... die Einhaltung von der Verfassung wird direkt vom Bundesverfassungsgericht überprüft
• ... zusätzlich gibt es die Ewigkeitsklausel:
  • demnach dürfen die Bundesländer niemals abgeschafft werden und müssen an der Gesetzgebung beteiligt sein
  • und die Artikel 1 und 20 sind unantastbar
• ... Verfassungsänderungen wurden erschwert und sind nur mit einer Zweidrittelmehrheit möglich

Fazit: Sind diese Verfassungsänderungen der Grund, warum die Bundesrepublik nicht gescheitert ist?

Eine solche Frage kann man nicht klar beantworten, denn solche Gedankenexperimente hängen von vielen Faktoren ab. Gleichermaßen kann man ja auch nicht sagen, dass die Weimarer Republik nur wegen ihrer Verfassung gescheitert ist...

• ... zwar entstanden beide Staaten nach einem Weltkrieg, jedoch waren die Nachkriegsbedingungen ganz andere:

  • Wirtschaftlich: enorme Belastungen durch den Versailler Vertrag (Reparationszahlungen) vs. wirtschaftlicher Wiederaufbau durch Marshall Plan
  • Politisch: Ausschluss aus dem Völkerbund vs. internationale Aufnahme der BRD in NATO und UNO
  • Gesellschaftlich: kein Vertrauen in Demokratie (Dolchstoßlegende) vs. abgeschreckt von politischer Radikalität

• ... zusätzlich kommt es nicht allein auf das politische System an, sondern auf die Menschen, die in ihm leben → "Demokratie ohne Demokraten"

• ... außerdem folgte aus der Weimarer Republik mit dem Nationalsozialismus und dem 2. Weltkrieg ein Trauma, dass sich stark im gesellschaftlichen Bewusstsein festsetzte