Mit der Aufarbeitung der Verbrechen zu Zeiten des Nationalsozialismus tat die deutsche Gesellschaft sich lange sehr schwer.
Prozesse wurden vor allem von den Siegermächten durchgeführt, wobei viele Beteiligte auch hier mit milden Strafen davon kamen.
Viele Täter oder Mittäter konnten ihre Karriere unbeschadet fortsetzen, Profiteure äußerten sich zum Teil erst in den letzten Jahren auf öffentlichen Druck.
Entschädigungen gab es in eher geringem Ausmaß und nicht für alle Opfer. Die Erinnerung ist mit Gedenkstätten, literarischen oder filmischen Umsetzungen und Dokumentationen oder den Stolpersteinen immer vielfältiger geworden.
Was konnte die Zivilbevölkerung wissen?
Nach dem Krieg stellte sich für viele die Frage, was die 'deutsche' Zivilbevölkerung vor allem über den Holocaust wissen konnte. Natürlich war das auch von vielen Faktoren wie dem Wohnort, den sozialen Kontakten und der eigenen Beteiligung abhängig. Einiges musste den Menschen klar sein.
- Ausgrenzende und diskriminierende Gesetze und Verordnungen, Boykottaktionen und offener Terror (z.B. Reichspogromnacht) waren offensichtlich
- Deportationen waren öffentlich sichtbar, jüdischer Besitz wurde auf offener Straße versteigert → Menschen gingen von Umsiedlungen zur Zwangsarbeit statt streng geheim gehaltener Vernichtung aus
→ Das Verschwinden der jüdischen Menschen, der Sinti:zze und Rom:nja aus der Gesellschaft war offensichtlich und wurde von den meisten stillschweigend hingenommen. Über den Massenmord gab es Gerüchte und vereinzelte Informationen über Soldaten oder ausländische Medien.
Maßnahmen zur Entnazifizierung
Neben den Nürnberger Prozessen, in denen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verhandelt und bestraft wurden, sowie weiteren Todesurteilen 1950 unternahmen die Siegermächte in ihren Besatzungszonen und später die Bundesrepublik unterschiedlich starke Maßnahmen zur Entnazifizierung.
Direkt nach dem Krieg Konfrontation der deutschen Zivilbevölkerung sowie der Soldaten mit Leichen, Fotos und Filmaufnahmen
In sowjetischer Zone stärkere Umstrukturierung (Verwaltung, Beamtentum, Justiz, Polizei etc.), in britischer Zone weitgehende Beibehaltung (bis auf Spitzenbeamte) zur Bewältigung der Versorgung
Millionen Fragebögen, die nach Beteiligung fragten → die meisten nicht bestraft, Haupttäter nach hinten geschoben und dann geringe Verurteilung (Kalter Krieg im Vordergrund)
→ 1959 wurde eine zentrale Ermittlungsstelle in Ludwigsburg eingerichtet, die meist milde Urteile aussprach. Ab 1963 bis heute kam es zu zahlreichen Auschwitzprozessen. Entscheidend dafür war die Entscheidung von 1979, dass Mord nicht verjährt.
Eingliederung von Tätern
Viele Personen, die sich der nationalsozialistischen Verbrechen schuldig gemacht hatten, konnten ihr Leben und sogar ihre berufliche Karriere unbeschadet fortsetzen.
Nicht verhaftete und verurteilte Haupttäter waren zum Teil im In- oder Ausland untergetaucht
Beamte setzten Entschädigungsanspruch auf Wiedereinsetzung durch → nur Beteiligte der Kategorien I und II (Hauptschuldige und Belastete), Beamte der Gestapo und Berufssoldaten der Waffen-SS ausgeschlossen
Fast 90% der bundesdeutschen Oberlandesrichter in den 1950ern hatten im NS-Staat gedient
→ Nur 20 Ärzte standen im Nürnberger Ärzteprozess für medizinische Menschenversuche vor Gericht (sieben Todesurteile), die meisten Verantwortlichen arbeiteten ohne Konsequenz weiter. Ihre Forschungsergebnisse und Erfahrungen wurden sogar noch genutzt, besonders im Ausland.
Entschädigung von Opfern
Nach dem Krieg kam es zu zahlreichen Entschädigungsleistungen für Opfer der nationalsozialistischen Verbrechen. Jedoch wurden nicht alle in gleichem Maße anerkannt und bedacht. Bis heute werden Ansprüche gestellt, noch heute arbeiten etwa Unternehmen ihre Verantwortung auf.
Rückgabe enteigneter jüdischer Besitztümer, in den 1950er Jahren finanzielle Milliardenentschädigungen im In- und Ausland (Inland: Bundesentschädigungsgesetz von 1956) → Gesamtentschädigungen von Verfolgten deutlich geringer als Zahlung an Flüchtlinge und Vertriebene aus ehemaligen deutschen Ostgebieten
Entschädigungen an kriegsgeschädigte Staaten, im Osten erst nach 1989
Benachteiligte: Verfolgung der Sinti:zze und Rom:nja in 1950er Jahren legitimiert („asoziale Zigeuner“), erst in 1960er Jahren anerkannt und bis in die 1980er Jahre entschädigt; Zwangsarbeiter:innen kaum bis gar nicht beachtet
→ Ab 2001 entschädigten deutsche Unternehmen gemeinsam mit dem Staat Opfer mit maximal 7700 Euro pro Person. Besonders Familienunternehmen wie die Familie Quandt (Beteiligung an BMW), Familie Oetker (Dr. Oetker) oder Familie Bahlsen beschäftigten sich erst nach öffentlichem Druck mit ihrer Beteiligung und ihrem Profit an nationalsozialistischen Verbrechen wie Enteignungen oder Zwangsarbeit.
Erinnerung und Gedenken
Während in den 1950er Jahren über viele Verbrechen, besonders den Holocaust, geschwiegen wurde, waren es ab den 1960er Jahren insbesondere kulturelle Einrichtungen und Projekte, die die anwachsende und bleibende Erinnerung an die Verbrechen und die Opfer, oft mit staatlicher Unterstützung, begünstigt haben.
1959: nach Hassattacken gegen jüdische Menschen (Hakenkreuze an Synagogen etc.) verstärkte Eingliederung in schulische Bildung
Nachkriegsliteratur (z.B. Gruppe 47 mit Ingeborg Bachmann, Paul Celan u.a.), Zeitzeugendokumente wie das Tagebuch der Anne Frank (Erstauflage 1947, seit 2009 UNESCO Weltdokumentenerbe)
Denk- und Mahnmäler, Gedenkstätten, z.B. in ehemaligen Konzentrationslagern
Neue Impulse für Beschäftigung mit der Vergangenheit: filmische Aufarbeitungen wie die US-Fernsehserie Holocaust (1978), der Dokumentarfilm Shoah von Claude Lanzmann (1985) oder Steven Spielbergs Film Schindlers Liste (1993) → jeweils großer Einfluss auf Erinnerungskultur
Nach und nach Dokumentation von Zeitzeugenaussagen (z.B. Interviews), zunehmende Digitalisierung
Seit 1992: Stolpersteine des Künstlers Gunter Demnig überall in Europa → im Boden eingesetzte quadratische Messing-Gedenktafeln
Sidefact
Ein berühmtes Beispiel für einen nach dem Krieg erfolgreichen Täter ist Hans Globke, der die Nürnberger Gesetze mitverfasst und kommentiert hat und zwischen 1953 und 1963 unter Konrad Adenauer Chef des Bundeskanzleramts und somit sein engster Vertrauter war.