Essay

Bei einem Essay wird sich auf kurze, aber anspruchsvolle Weise mit einem bestimmten Thema befasst.


Erklärung

Essay bedeutet so viel wie Versuch und genau das soll es auch sein. Es ist der Versuch, ein Thema in einem knappen, aber anspruchsvollen und absichtlich subjektiv verfassten Kontext zu behandeln.

Merkmale

  • Ingesamt große Freiheit durch nicht vorhandene starre Regeln
  • Kein Anspruch auf Wissenschaftlichkeit und Vollständigkeit
  • Eigene Überlegungen und Positionen stehen im Vordergrund: absichtlich subjektiver & wertender Kontext
  • Fragen stellen, statt beantworten → Denkanstöße geben
  • Freiraum für stilistische Mittel, kreative Momente & eine subjektive Darstellungsform

Sprache

  • Verständlich, flüssig und gern auch stilistisch-ausgefeilt
  • Starke Verwendung von Stilmitteln (wie Ironie, Wortwitz und Methaphern)

Aufbau

Der Aufbau ist zwar grundsätzliche frei wählbar, die Form „Einleitung, Argumentation, Schluss“ ist jedoch die am weitesten verbreitete Variante.

1. Einleitung

  • Erläuterung des Schreibanlasses & der Relevanz der Diskussion, die du im Folgenden führen willst
  • Thema: Aktuelles Ereignis, persönliche Begebenheit, Fakten oder Anekdoten
  • Aufstellung einer Fragestellung und/oder einer These

2. Argumentation

  • Argumentation aus verschiedenen Perspektiven (Pro & Contra)
  • Formulierung einer eigenen Meinung & subjektiv geprägte Darstellung
  • Dennoch klare, strukturierte & nachvollziehbare Argumentation mit erkennbarem Roten Faden und einer präzisen Argumentationsstruktur
  • Oft mit sprunghaft-assoziativen Gedankenführungen, Abschweifungen und Exkursen

3. Schluss

  • Zusammenfassung der Ergebnisse (kurz und pointiert)
  • Resümee: kein klares Fazit - nicht eine Lösung, sondern mehrere Lösungsmöglichkeiten
  • Abwägende Betrachtung & Aufstellung weiterer Fragestellungen

Beispiel

Gentechnik und der Mensch - eine verhängnisvolle Allianz?

Quelle:
Ausgangsmaterialien des Landesbildungsservers Baden-Württemberg (https://www.schule-bw.de/faecher-und-schularten/sprachen-und-literatur/deutsch/sprache/essay/essay-gentechnik.pdf) am Institut für Bildungsanalysen Baden-Württemberg (IBBW).

1. Einleitung

Sehr geehrte Leserinnen und Leser, die ihr dieses wertvolle Stück Literatur in euren Händen haltet, um euch damit zur Abendstunde in Großmutters geblümten Ohrensessel fallen zu lassen für gepflegte Unterhaltung ohne jegliche Anstrengung - daraus wird leider nichts! Ich musste mich für diesen Text anstrengen, also müssen Sie das auch.

2. Argumentation

Schließen Sie Ihre genervt verdrehten Augen und stellen Sie sich eine Welt vor. Eine Welt, in der Sie geradezu ewig von Ihrer Rentenversicherung Gebrauch machen können, eine Welt, in der Sie ohne Angst um Ihr Wohlbefinden tun und lassen können, was Sie wollen, eine Welt mit legalisierter Gentechnik am Menschen! Da staunen Sie, was? Wenn Sie meinen Anweisungen brav Folge geleistet haben, werden Sie jetzt ein perfektes Leben vor Ihrem inneren Auge sehen.

Sie, als glücklicher, gesunder Mensch mit glücklichen, gesunden Nieren und glücklichen gesunden Kindern. Stellen Sie sich das vor! Ein Kind, das Sie noch vor der Geburt zu einer Heidi Klum oder einem Einstein machen könnten! Laut einer chrismon-Umfrage von 2007 wäre mehr als einer von 20 Menschen beieiner äußerlichen Umgestaltung des eigenen Kindes dabei.

Womöglich haben die restlichen 19 Menschen bedacht, dass Gentechnik, wie man schon bei pflanzlicher Genmanipulation sehen kann, Gefahren wie Missbildungen, Mutationen oder, konkret am Menschen, Fehlgeburten verursachen könnte. Am Beispiel des ersten geklonten Schafs Dolly kann man beweisen, dass das Klonen negative Auswirkungen auf das Immunsystem des Schäfchens hatte, wodurch es relativ früh starb. Doch weg von den biologischen Feinheiten! Der Mensch zeichnet sich schließlich durch sein Gehirn und sein soziales Verhalten aus. An diesem Punkt müssen Sie, meine tapferen Leser, erneut Ihre grauen Zellen in Schwung bringen:

Denken wir zurück an unsere Kindheit. Können Sie sich noch an Ihre Schulzeit erinnern? Genauer gesagt den Sportunterricht? Sicherlich gab es auch bei Ihnen dieses unpädagogische Auswahlverfahren für zwei Mannschaften, bei dem zwei Schüler nacheinander einen Mitschüler für ihr Team auswählen dürfen. Damals war das alles gerecht, die schnellsten, stärksten und coolsten Schüler wurden immer zuerst ausgewählt. Wenn man einer besorgten Mutter Glauben schenken kann, besteht diese Gerechtigkeit heute nicht mehr, da nun die Flüchtlingskinder vor den armen deutschen Kindern ausgewählt werden. Wie soll das dann erst in der Zukunft aussehen, wenn die genmanipulierten Kinder die Oberhand in der Turnhalle haben?

Einige Gentechnikgegner kritisieren, dass das Privileg der gentechnischen Veränderung, falls es legalisiert werden sollte, sehr teuer sein werde und es somit reiche Leute bevorzugen würde. Schon jetzt gibt es gesundheitliche vorteile für privatversicherte Menschen, wodurch das Gegenargument, durch zukünftige Umverteilung zur Behebung der finanziellen Ungerechtigkeit beizutragen, meiner Meinung nach wertlos wird, da die gleiche Behandlung aller Menschen schon heute nicht funktioniert.

Außerdem wage ich zu behaupten, dass der Mensch durch den Fortschritt der Gentechnik zu einem kontrollierbaren und nahezu willenlosen Objekt wird, wie die Karikatur von sakurai-cartoons, in der der Mensch als Schrank dargestellt wird, sehr schön verdeutlicht. Wer den Film „The Island“ kennt, weiß, wovon ich spreche. Es ist vorstellbar, dass das Internet einen Trend hervorrufen könnte, bei dem ein drittes Ohr als Ideal gilt. Das Ergebnis könnte der Gruppenzwang sein, seinem Kind ein drittes Ohr hinzufügen zu lassen. Weiß Gott, wozu das führen könnte!

Apropos Gott! Ich höre schon lange das ungeduldige Schnipsen der Finger aufgekratzter Frommer unter Ihnen. Ja, jetzt ist es soweit und auch Ihr Argument kommt zum Einsatz: Laut der Bibel hat Gott uns alle nach seinem Ebenbild individuell geschaffen. Hätte er gewollt, dass wir ein drittes Ohr besäßen, hätte er es uns bereits gegeben. Durch die Gentechnik würde man dem Allmächtigen also, schlicht und simpel gesagt, ins Handwerk pfuschen. Immerhin schuf er für uns eine Welt voller Schönheit und Perfektion, nicht wahr? Er schuf für uns Autos, Medikamente, Stromgeneratoren, aber natürlich nicht die Gentechnik! Sie werden verstehen, worauf ich hinaus möchte, verehrteste Leser. Selbst wenn Gott für die Entstehung der Erde verantwortlich ist, wurde sämtlicher Fortschritt, der unser Leben versüßt, vom Menschen geschaffen. Wieso sträubt man sich also, wenn es um die mögliche Heilung tödlicher Erbkrankheiten geht? Man stelle sich vor, dass ein kleines Kind voller Lebensfreude, aber mit einem schwerwiegenden Herzfehler, einfach ein geklontes Herz implantiert bekommen könnte! Partygäste könnten sich nach Lust und Laune im Alkohol ertränken, ohne Sorge um eine für immer zerstörte Leber! Ich gebe zu, treue Leserinnen und Leser, dass dies unpassend war.

Aber dennoch: Die Gentechnik birgt unvorstellbare Chancen für unser Gesundheitswesen. Laut Ronald Dwarkin würde ein ernsthaftes Risiko bei Genmanipulationen die Forschung zwingen, ihre Arbeit einzustellen. Da diese aber weiterhin am laufen ist, kann von der Gentechnik bis jetzt keine sonderlich große Gefahr ausgehen, ganz abgesehen da-von, dass auch bei den Anfängen der Autoindustrie viele Experimente schiefgegangen sind, wie der erste Fahrversuch Daimlers beweist, der in einer Hauswand endete. Ich erwähnte vor nicht allzu langer Zeit die geistige Labilität des Menschen anhand des Beispiels eines dritten Ohres. Nun, ich habe mir erlaubt, hierbeieinige Details auszulassen, die womöglich ausschlaggebend für Ihre Meinungsbildung sein könnten. In der bereits genannten wurden neben Verbesserungswünschen an den eigenen Kindern ebenfalls gefragt, ob man überhaupt etwas verändern wolle oder sogar dürfe. Das Ergebnis: Über 40% der Befragten, also vier von zehn Menschen, würden ihr Kind überhaupt nicht ändern, sei es ein zusätzliches Ohr oder ein besserer Umgang mit Zahlen. Bemerkenswert ist in der Umfrage ebenfalls, dass die von mir so dumm dargestellte Menschheit hauptsächlich die Gentechnik zur Verhinderung von Erbkrankheiten und Behinderungen einsetzen würde.

3. Schluss

Nun habe ich Ihr hoffentlich noch nicht überbeanspruchtes Gehirn wahrlich genug belastet, weshalb ich zum guten Schluss noch einmal deutlich machen möchte, wie mein Standpunkt zu diesem Thema ist.

Trotz meiner gelegentlich etwas irreführenden Argumentation bin ich der Meinung, dass Gentechnik am Menschen an und für sich eine gute Sache ist. Sie birgt eine große Chance im biologischen und medizinischen Bereich, solange man sie im richtigen Maße einsetzt. Genau für die Einschätzung einer guten Dosierung könnte die Menschheit allerdings noch etwas zu jung sein, zum Beispiel durch die Gefahr der Manipulation des Menschen oder den Kontrollverlust durch unüberlegtes Handeln.

Hierfür wird, wie bei jedem anderen Fortschritt auch, Zeit benötigt und gelegentlich ein kritischer Blick auf die Ziele, denn Gentechnik ist nichts anderes als die Entwicklung eines Bonbons: Es gibt verschiedene Geschmacksrichtungen, doch wenn man richtig dosiert, schmeckt es gut. Nun lehnen Sie sich zurück, essen ein Bonbon und schlafen dann in Ihrem gemütlichen Blümchensessel ein.

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