Das lyrische Ich ist die Stimme in einem Gedicht.
Erklärung
Das lyrische Ich ist eine fiktive Person, die im Gedicht spricht und von Erlebnissen und Gefühlen berichtet.
Du darfst diese Person auf keinen Fall mit dem Autor gleichsetzen!
Der Autor ist nur derjenige, der das lyrische Ich durch sein Schreiben erschafft. Wenn es im Gedicht also z.B. heißt Ich fühle mich einsam, fühlt sich das lyrische Ich einsam und nicht der Autor.
Autor ≠ Lyrisches Ich !
Man unterscheidet zwischen explizitem und implizitem lyrischen Ich:
Explizites lyrisches Ich | Implizites lyrisches Ich |
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Beispiele
Explizites lyrisches Ich
1 In jungen Jahren war’s. Ich brachte dich
2 Zurück ins Nachbarhaus, wo du zu Gast,
3 Durch das Gehölz. Der Nebel rieselte,
4 Du zogst des Reisekleids Kapuze vor
5 Und blicktest traulich mit verhüllter Stirn.
6 Naß ward der Pfad. Die Sohlen prägten sich
7 Dem feuchten Waldesboden deutlich ein,
8 Die wandernden. Du schrittest auf dem Bord,
9 Von deiner Reise sprechend. Eine noch,
10 Die längre, folge drauf, so sagtest du.
11 Dann scherzten wir, der nahen Trennung klug
12 Das Angesicht verhüllend, und du schiedst,
13 Dort wo der First sich über Ulmen hebt.
14 Ich ging denselben Pfad gemach zurück,
15 Leis schwelgend noch in deiner Lieblichkeit,
16 In deiner wilden Scheu, und wohlgemut
17 Vertrauend auf ein baldig Wiedersehn.
18 Vergnüglich schlendernd, sah ich auf dem Rain
19 Den Umriß deiner Sohlen deutlich noch
20 Dem feuchten Waldesboden eingeprägt,
21 Die kleinste Spur von dir, die flüchtigste,
22 Und doch dein Wesen: wandernd, reisehaft,
23 Schlank, rein, walddunkel, aber o wie süß!
24 Die Stapfen schritten jetzt entgegen dem
25 Zurück dieselbe Strecke Wandernden:
26 Aus deinen Stapfen hobst du dich empor
27 Vor meinem innern Auge. Deinen Wuchs
28 Erblickt’ ich mit des Busens zartem Bug.
29 Vorüber gingst du, eine Traumgestalt.
30 Die Stapfen wurden jetzt undeutlicher,
31 Vom Regen halb gelöscht, der stärker fiel.
32 Da überschlich mich eine Traurigkeit:
33 Fast unter meinem Blick verwischten sich
34 Die Spuren deines letzten Gangs mit mir.
(Stapfen - Meyer)
- In diesem Gedicht ist das lyrische Ich ganz klar als Person zu erkennen (Ich).
- Das lyrische Ich erzählt von seiner Jugend und dem Abschied einer geliebten Frau, die auf eine Reise geht.
- Die Frau wird aus der subjektiven Sicht des lyrischen Ichs beschrieben (wandernd, reisehaft, schlank, rein, walddunkel, aber o wie süß! V. 22, 23).
- Du bekommst einen Einblick, in die individuellen Gedanken und Gefühle des lyrischen Ichs: Es erinnert sich an die Frau (Vor meinem innern Auge V. 27) und ist traurig (Da überschlich mich eine Traurigkeit V. 32), dass sie gegangen ist.
Implizites lyrisches Ich
Als sie einander acht Jahre kannten
(und man darf sagen: sie kannten sich gut),
kam ihre Liebe plötzlich abhanden.
Wie andern Leuten ein Stock oder Hut.
Sie waren traurig, betrugen sich heiter,
versuchten Küsse, als ob nichts sei,
und sahen sich an und wußten nicht weiter.
Da weinte sie schließlich. Und er stand dabei.
Vom Fenster aus konnte man Schiffen winken.
Er sagte, es wäre schon Viertel nach Vier
und Zeit, irgendwo Kaffee zu trinken.
Nebenan übte ein Mensch Klavier.
Sie gingen ins kleinste Cafe am Ort
und rührten in ihren Tassen.
Am Abend saßen sie immer noch dort.
Sie saßen allein, und sie sprachen kein Wort
und konnten es einfach nicht fassen.
(Sachliche Romanze - Kästner)
- In diesem Gedicht taucht kein einziges Mal ein Ich auf und das lyrische Ich nennt sich nicht selbst.
- Das lyrische Ich schildert als Beobachter die Beziehung eines Paars, das sich offenbar auseinander gelebt hat.