Eine Kurzgeschichte muss man sich erarbeiten, um sie besser zu verstehen. Das geht am besten, indem man versucht dem Text ein paar Fragen zu stellen.
Vorarbeit
Ort: Wo spielt die Geschichte? Ist der Ort für die Handlung wichtig?
Zeitgestaltung: Hat die Zeit eine Bedeutung für die Handlung?
Handlung: Wird ein Konflikt geschildert? Wie reagieren die Personen? Wird der Konflikt gelöst?
Figuren: Was erfahren wir über die Figuren? Wie verhalten sie sich und warum? Was sind die Gedanken der Personen?
Erzähltechnik: Was ist die Erzählperspektive? Wie viel erfahren wir über Gedanken & Gefühle? Und wie wirkt das?
Sprachliche Gestaltung: Was macht den Text spannend? Ist die Erzählweise eher nüchtern? Einfacher oder komplexer Satzbau? Gibt es sich wiederholende Leitmotive & Schlüsselwörter? Welche sprachlichen Mittel werden benutzt und was ist deren Wirkung auf den Leser?
Merkmale: Welche Merkmale der Kurzgeschichte werden erfüllt? Kann man den Text als Kurzgeschichte bezeichnen?
Deutung/Bewertung: Was will die Kurzgeschichte aussagen und wieso? Stimmst du der Aussage zu? Warum?
Analyse
1. Einleitung
Einleitungssatz (mit Autor, Titel, Textsorte = Kurzgeschichte, Erscheinungsjahr, Thema)
2. Hauptteil
2.1 Kleine Inhaltsangabe
Hier beschreibst du im Präsens, was in der Geschichte passiert.
2.2 Textgestaltung & ihre Wirkung
Hier bringst du die Aspekte der Vorarbeit. Achte dabei aber immer darauf, nach welchen Aspekten in der Aufgabenstellung gefragt wird und konzentriere dich dann besonders darauf.
- Ort
- Zeitgestaltung
- Handlung
- Figuren
- Erzähltechnik
- Sprachliche Gestaltung
- Merkmale
3. Schluss
- Zusammenfassung der wichtigsten Analyseergebnisse
- Deutung
- Aussageabsicht?
- Eigene Meinung
- Fazit
Beispiel
Erstelle eine Analyse zu Das Brot von Wolfgang Borchert. Gehe dabei auf Figuren und Inhalt, die sprachlich-stilistische Gestaltung und die Erzähltechnik ein. Interpretiere den Text hinsichtlich des Verhaltens der beiden Protagonisten.
Analyse zu "Das Brot"
1. Einleitung
In der Kurzgeschichte „Das Brot“ von Wolfgang Borchert überrascht eine Frau ihren Mann dabei, wie er sich nachts heimlich eine Scheibe Brot abschneidet. Daraufhin versucht sich der Mann ungeschickt herauszureden. Die Geschichte wurde 1946 kurz nach dem 2. Weltkrieg geschrieben.
2. Hauptteil
2.1 Inhaltsangabe
Mitten in der Nacht wacht eine Frau von einem Geräusch auf: Jemand hat in der Küche einen Stuhl umgestoßen. Sie merkt, dass ihr Mann nicht neben ihr liegt, steht auf und sieht in der Küche nach. Dort trifft sie ihren Mann, der seinerseits behauptet, er hätte etwas gehört und nachsehen wollen.
Auf dem Küchentisch steht der Brotteller, daneben liegt das Messer und einige Brotkrümel: Die Frau erkennt, dass ihr Mann heimlich Brot gegessen hat - Brot, von dem sie so wenig haben, dass sie es sich einteilen müssen. Sie sagt, sie hätte auch etwas gehört, aber es wäre wohl bloß die Dachrinne gewesen. Sie sieht ihren Mann nicht an, weil sie nicht ertragen kann, dass er sie nach 39 Jahren Ehe anlügt. Gemeinsam gehen sie wieder zu Bett, wo die Frau nach einiger Zeit das vorsichtige Kauen ihres Mannes hört.
Am nächsten Abend schiebt sie ihm eine von ihren Brotscheiben zu und behauptet, sie könne das Brot abends nicht vertragen. Er beugt sich tief über seinen Teller und schämt sich. In diesem Augenblick tut er ihr leid.
2.2 Textgestaltung & ihre Wirkung
Ort
- Eigenes Wohnhaus → steht eigentlich für Geborgenheit, Vertrauen & Sicherheit, aber nicht bei den Protagonisten
Zeitgestaltung
- Nacht → Dunkelheit, Kälte, aber auch Stille, was symbolisch für die Beziehung der Protagonisten stehen könnte
Handlung & Figuren
- Dem Mann ist sein offensichtlicher Fehler peinlich, versucht sich aus der Situation herauszureden und von den Tatsachen abzulenken. Dies tut er jedoch nicht überzeugend. Obwohl es ihm peinlich ist, dass ihn seine Frau erwischt hat, isst er trotzdem noch eine Scheibe Brot, als sie wieder im Bett liegen. Er weiß, dass seine Frau den Diebstahl bemerkt hat, spricht aber trotzdem nicht offen mit ihr darüber.
- Die Frau, die den Diebstahl bemerkt, verschließt ihre Augen vor den Tatsachen und verzeiht ihrem Mann, ohne mit ihm darüber gesprochen zu haben. Außerdem kontrolliert sie ihren Mann auch nach der Szene in der Küche. Sie tut so, als würde sie schlafen und hört ihn im Bett kauen. Am nächsten Abend gibt sie ihm eine von ihren Scheiben Brot, damit er sie nicht wieder heimlich isst. Sie tut das, um für ihren Mann zu sorgen und um nicht wieder enttäuscht zu werden.
Erzähltechnik
- Der Erzähler in der Geschichte ist personal. Er beschreibt die Geschehnisse aus der Sicht der Frau, verhält sich jedoch neutral und lässt das Geschehene unkommentiert.
Sprachliche Gestaltung
- Die Sprache ist einfach und schlicht sowie in kurzen und knappen Sätzen gehalten. Sie weist keine schmückenden Adjektive auf.
- Ellipsen, z. B. "Nachts. Um halb drei. In der Küche."
Merkmale
- alle Merkmale einer Kurzgeschichte werden eingehalten
3. Schluss
Deutung
Die Kurzgeschichte stellt ein Kommunikationsproblem zwischen einem Ehepaar dar, das sich schon sehr lange kennt. Außerdem wird das Problem des Nahrungsmangels zur Nachkriegszeit des zweiten Weltkrieges angesprochen. Die Geschichte ist recht einfach geschrieben und leicht verständlich, wenn man den geschichtlichen Hintergrund beachtet.
Bewertung
Das Verhalten der beiden Hauptpersonen finde ich jedoch nicht richtig. Sie hätten offen darüber sprechen sollen, um zukünftigen Konflikten aus dem Weg zu gehen. Da Borchert diese Zeit miterlebt hat, wirkt die Geschichte sehr authentisch und realistisch. Obwohl ich zu diesem Problem keinen persönlichen Bezug habe, hat mich die Geschichte zum Nachdenken angeregt.